KUNSTKRITIKER


Marian Paukov

Projekt OST/WEST 1996



Oft gibt es eine kleine Nuance zwischen dem, was mit Gefühl gemacht wurde und dem, was abgeleitet ist. Seit ich sie kenne (seit 1989), hat mich Gabriela Medvedova mit Ihrem Schaffen davon überzeugt, dass sie bei allen ihren Schöpfungen innerlich, gefühlvoll und sensibel motiviert ist. Dabei sehe und fühle ich bei ihr die Ehrfurcht vor dem "Grundgesetz" der Kunst im Leben und des Lebens in der Kunst. Man kann es folgender- massen ausdrücken: Ist mehr leben in der Kunst, oder potentiell Künstlerisches (Bildhaftes, Musisches, Poetisches, Musikalisches ...) im leben selbst?
Im Gegensatz zur modischen und "vorteilhaften" Pose gibt die Künstlerin den Vorrang dem, was vorteilhaft und nützlich in einem langzeitlichen Sinne ist. Gerade des missbrauchten Ganzen des Sinns des Lebensweges, des Geheimnisses des Lebens und anderer Lebensformen hat sie im letztem Abschnitt ihres Schaffens ihre natürliche expressiv -lyrische Haltung symbolisch und tatsächlich materiell unter einem Schleier verborgen. So be- handelt die Künstlerin die Gesamtheit des Lebens, das wie der Geist von überall her weht. Dem unterordnet sie auch ihre künstlerische Sprache. Mit ihrem Schaffen verzaubert sie nicht die Realität, sondern begnügt sich mit dem natürlichem Strom des Lebens und auch der Kunst. Eine solche Haltung in leben und Kunst ist wertvoll in Bezug auf die künstlerische Überproduktion. Sie ist sich dessen bewusst, dass ein grosses Werk zu schaffen ebenso schwierig ist, wie eine soziale Veränderung herbeizuführen. Mit ihrem scheinbaren Asketismus ermöglicht sie eine Einsicht und einen Einblick ins Leben, die vom göttlichen Funken erleuchtet sind.
Viele Bilder aus der jüngsten Schaffensperiode der Künstlerin sind nicht nur transparent, sondern auch zum beidseitigen Betrachten bestimmt. So wie sie zuweilen die Ecken ihrer Bilder -symbolisch die Ecken und Enden des Lebens - sichtbar machte, indem sie sie tatsächlich einbog, so ist ihr aktuelles Schaffen nicht nur "über" Polaritäten (Ost, West, Geistiges, Materielles), sondern die Polarität selbst. Die licht- und Schattenseiten des Lebens sind in ihren papieren Artefakten inkorporiert.
Es sind dies zugleich auch Biografien der Malerin, Abbilder ihres Gesichtes. Somit will sie eine breitere kulturelle und soziale Biografie in Erinnerung bringen. Es ist Ausdruck des Kampfes zwischen Ängstlichem und Energischem. Darum ist die energische Aggressivität - der Handschrift und des Lebens - überdeckt mit einem Schleier aufgerauhter Papiere. Damit will sie zugleich auch die Zufälligkeit betonen, die wichtig ist bei einem beiderseitigen Austausch von Energien zwischen dem Geistigen (symbolisiert durch einen Kreis! und dem Materiellen (symbolisiert durch ein Viereck) und auch die medialen Übergänge zwischen diesen Kräften. Gabriela Medvedova selbst erfüllt in so mancher Hinsicht die Funktion eines Mediums, eines Vermittlers im kulturellen, geographischen und vielleicht in einem telepathischen Sinn.