VON DER
GEOMETRIE ZUR TRANSPARENZ
Marián Paukov, M.A., PhD
Man fragte den Helden des Romans Der Schaum
der Tage von Boris Vian: "Wie verbringen Sie Ihre hellste Zeit?"
Die Antwort lautete: "Indem Ich sie dunkel mache, weil das Licht mich aufregt."
Die Malerin Gabriela Medvedova verbringt ihre Zeit, indem sie die Welt leuchtend
und durchsichtig macht. Ich habe der Malerin meinen Text drei Jahre lang "zukommen
lassen wollen". Jetzt schaue ich ihn mir wieder an, um zu sehen, ob er noch
aktuell ist. Die Malerin malt immer leuchtender, während mein Schreiben
immer "dunkler" wird. Die Dunkelheit des Helden des Romans von Boris Vian geht
mir durch den Kopf. Da sich die Malerin mit dem geschriebenen Text sehr beschäftigt
hat, habe ich sie immer wieder gefragt, ob sie noch so malt, wie es in diesem
"dunklen" Text steht. In Wirklichkeit könnten die meisten Texte, die wir über
Künstler lesen, einfach übertragen werden und es würde nichts
geschehen. Andere Male habe ich den Eindruck, dass die über Künstler
geschriebenen Texte besser sind als das Kunstwerk selbst. Die Künstlerin
war mit diesem Text drei Jahre lang beschäftigt, vielleicht wollte sie
wirklich so malen, wie es in dem obengenannten Roman stand: Gute Arbeiten bewegen
mich dazu, in meinem Gedächtnis die entsprechenden Worte zu finden. Worte
oder Zitate."
Bei dieser Gelegenheit möchte ich meinen Lieblingskritiker, Jiri Chalupecky,
zitieren: "Eine perfekte Welt, eine Welt ohne Leiden, wäre eine
ignorante Welt, deren es sich nicht lohnen würde, bewusst zu sein. Nur
eine dauernd verlorene und entdeckte Welt, eine dauernd sterbende und neugeborene
Welt ist eine Welt, die wahrgenommen und zur Kenntnis genommen werden kann;
die Welt, in der es sich lohnt zu leben. Wenn wir über Schönheit sprechen,
dann sprechen wir über die Offenbarung dieser Welt. Dementsprechend ist
Schönheit keine angenehme Sache und Kunst, die schön wird, gehört
zur Gesellschaft die innerlich zerfällt. Schönheit ist tragisch oder
komisch, sie liegt in diesem tiefen Empfinden der Welt, in der grossen Furcht,
der gegenüber der Mensch mit einem Klageschrei oder mit einem Gelächter
reagieren kann. In der Spannung zwischen dem Heiligtum der Schönheit und
dem Weltlichen der Sterblichkelt ermöglicht die Kunst der Menschheit, sie
in ihrem inneren Wesen wahrzunehmen."
Als jene Worte geschrieben wurden, war die Malerin erst ein Jahr alt. Was hat
sich seitdem verändert? Vielleicht, dass wir heute nicht über die
Tragik oder die Komik sprechen müssen im Sinne von der Abschaffung der
einen oder der anderen, oder von irgendetwas, das meistens keine Beziehung dazu
hat. Damals pflegten wir "entweder oder" zu sagen - jetzt sagen wir
dauernd "sowohl als auch". Die Malerin löst sich von dem nicht auf die
modernistische Weise, sondern eher auf die post-modernistische (heutzutage würde
ich es nicht verzeihen, dieses Wort zu benützen, weil es eine erbärmliche
Konnotation angenommen hat und wir weiter als früher gegangen sind).
Was ist das Lebensgefühl der Malerin und ihrer grundsätzlichen schopferischen
Geste? Es ist etwas zwischen Schönheit und Schmerz, Herrlichkeit und Leiden.
Aber es ist auch etwas zwischen starken Ausdrucksvermögen und meditativem
Lyrismus. Die Malerin entwickelt die Motive ihrer Bilder treu weiter: Vierecke,
Kreise, Siebe, Schachbretter, Zielscheiben - Motive des "Wegfliegens" und trotzdem
eine Botschaft der "Landung". Diejenigen, die Ihre Malereien zum ersten Mal
sehen, sollten wissen, dass die Künstlerin eine Sammlung voller realistischen
Arbeiten geschaffen hat und dass sie die Art abstrakter Malerei, die sie heute
vorstellt, ungern im Kontrast zum Realismus einordnen würde. Es ist eine
höhere Art von Realismus. Es ist der Realismus der Wahrheitstreue von "Oberflächen"
(heute würde ich hinzufügen, dass es der Realismus ist, der die Leere
mit Durchsichtigkeit ausstattet). Sie ist sich bewusst, dass die Tiefe jenseits
der Oberfläche gerutscht ist. Sie schafft eine Art Sportstadium, das eine
Metapher für ein Spiel im weitesten Sinne des Wortes darstellen kann. Spielen
wir ein Spiel oder werden wir von ihm gespielt? Ihr Eindringen in die regelmässige
geometrische Basis könnte mit ein wenig poetischer Freiheit als ein Bedürfnis
interpretiert werden, von einem Spiel ins andere während des Spiels selbst
überzugehen. Die Spiele des Lebens sind nämlich abwechslungsreich.
Wir beginnen unser Leben mit Volleyball und müssen es mit Basketball beenden.
Jedoch ist der Malerin jede Art von Pathos und Vereinfachung fremd. Alles geschieht
auf rein künstlerischer Ebene.
Ich schrieb den vorangegangenen Text im März 1997 zum Anlass der Ausstellung
von Gabriela Medvedova in der Galerie der Polnobanka. Was hat sich seitdem im
Werk der Malerin geändert? Für sie war es eine fruchtbare Zeit der
Selbsterforschung. Sie erforschte sich selbst indem sie ihre Bildsprache zum
Ausdruck kommen liess. Mehr als je zuvor ist die Malerin nicht nur von der Kunst
besessen, sondern auch besorgt um die Durchsichtigkeit des Lebens. Und wie sie
sind ihre neuesten Bildobjekte. Sie hat sich bemüht die Grenzen zwischen
Leben und künstlerischer Schöpfung schwingen zu lassen. Je mehr Licht
und Raum ihre einfachen, hauptsächlich geometrischen Motive beinhalten
und je mehr sie irgendwie "wegzufliegen" scheinen, desto besser zieht
uns die Künstlerin und Lebensschöpferin in das imaginäre Zentrum
ihrer Motive hinein. Durch Objekte, die sie in ihrer letzten Ausstellung in
der Passagegalerie des Künstlerhauses in Wien vorgestellt hat, ist es klar
zu erkennen, dass sie von der Oberfläche zum stereoskopischen "mandala"
- Zwischenraum - gegangen ist. Sie träumt und verwirklicht den Traum vieler
Künstler: in ihre Bilder hineinzutreten. Auf eine gewisse Art erinnert
sie an die "umgekehrte Perspektive" der russischen Ikonenmalerei,
eine ihrer wahren Kunstlieben. In Gegensatz zu Renaissance - und New Age - Perspektiven
beschäftigten sich Ikonen auch mit der "hinten nach vorne" Bewegung.
Diese Dimension war auch in ihren Raumobjekten deutlich und kam noch besser
in ihren Rauminstallation zur Gettung. Für Gabriela Medvedova ist die "Lebensinstallation"
viel wichtiger als jede "Kunstinstallation".
Da Ihre Objekte hauptsächlich aus Papier sind, rechnen sie mit einer leichten
Brise. Kulturmässig zeigen sie die stoisch-christliche Tradition. Der sanfte
Rhythmus, der aus den Objekten der Malerin strahlt, erinnert uns an eine Art
"Summer eines Engels" von einem unsichtbaren aber dafür geistig
klaren Zwischenraum. Das ist eine Geste, die sich Marina Cvetajevova, der russischen
Dichterin, nähert, die auch über engelhafte entmenschtlichte Kugeln
schrieb (im Sinne der Philosophie von Ortega y Gasset). "Ich mag Leute
nicht, ich mag Engel" - sagte die Dichterin. Schliesslich waren beide,
die Dichterin und die Malerin, mit einem reineren Humanismus beschäftigt.
Die Malerin kümmert sich nicht nur darum, "sich selbst" zu reinigen,
sondern auch ihre Umgebung "von sich selbst" zu reinigen. Wenn Poesie eine
potentielle, virtuelle Realität ist, dann ist der Künstler/die Künstlerin
dazu verpflichtet seine/ihre poetische Begabung zu verwirklichen. Jedoch können
wir uns selbst Geschenke machen, also ist es eine Beziehung zwischen MIR und
DIR, in der ER/SIE und DU in Unendlichkeit - in menschlichen Gesichtern - ist.
Katalog Transparenz
2000